Das Jugendamt Stuttgart hatte den Bericht im Jahr 2021 noch unter der Leitung von Dr. Susanne Heynen in Auftrag gegeben. Betroffenen sollte das Recht eingeräumt werden, zu erfahren, in welcher Verantwortungsstruktur und in welchem Ausmaß Organisationen Übergriffe, Gewalt und Grenzverletzungen ermöglicht haben.
Am 24. Februar 2025 wurden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt. Der Bericht trägt den Titel „Werner Helmut Kamenzin und das Jugendamt Stuttgart: Hintergründe, organisationale Verflechtungen und zeithistorische Verarbeitungen“. Die Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, Isabel Fezer, präsentierte die Aufarbeitung zusammen mit ehemaligen und aktuellen Führungskräften des städtischen Jugendamts und Wissenschaftlern der Universität Hildesheim. Beteiligt waren die Institute für Sozial‐ und Organisationspädagogik sowie Erziehungswissenschaft.
Kindeswohlgefährdung durch kollektives Versagen
Die Forschungsgruppe der Universität Hildesheim untersuchte die Rolle des Jugendamts sowie der Kinder‐ und Jugendhilfe in Stuttgart und seiner Organisationsstruktur hinsichtlich des früheren Jugendamtsmitarbeiters Werner Helmut Kamenzin. Der Bericht kommt zum Schluss, dass Kindeswohlgefährdung durch das kollektive Versagen der Verantwortungsgemeinschaft der öffentlichen und freien Kinder‐ und Jugendhilfe stattgefunden hat.
Bürgermeisterin Isabel Fezer dankte allen an dem Bericht beteiligten Personen für ihre Arbeit: „Die Landeshauptstadt Stuttgart stellt sich ihrer Verantwortung beim Themenkomplex sexualisierte Gewalt in der Kinder‐ und Jugendhilfe. Die Untersuchung des Falls Kamenzin durch die Forschungsgruppe der Universität Hildesheim ist wichtig, um bereits bekannte Sachverhalte besser einordnen zu können.“
Jugendamt entschuldigt sich für erlittenes Leid
Werner Helmut Kamenzin war während seiner Zeit im Jugendamt von 1967 bis 1985 unter anderem als Heimerzieher, kommissarischer Abteilungsleiter und Personalratsvorsitzender tätig. Er hat sexualisierte Gewalt und weitere Grenzverletzungen gegenüber ihm anvertrauten jungen Menschen ausgeübt. Kamenzin führte Freizeiten für junge Menschen im Ausland durch, die ihm unter anderem zum Waffenhandel, Machtmissbrauch und zur Erstellung kinderpornografischer Bilder dienten. Er gründete auch eigene Jugendvereinigungen. Ein Jugendlicher, der sich in dieser Zeit wegen der erlittenen sexualisierten Gewalt an das Jugendamt wendete, wurde abgewiesen und seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt. Aufgrund verschiedener Dienstvergehen entließ die Stadt Kamenzin 1980 fristlos. Bis zur endgültigen Entlassung vergingen aufgrund juristischer Auseinandersetzungen jedoch weitere fünf Jahre.
Katrin Schulze, Leiterin des Jugendamts Stuttgart, hob hervor: „Das Jugendamt entschuldigt sich bei allen Betroffenen für das erlittene Leid. Die Sensibilität gegenüber Grenzverletzungen und Gewalt durch Fachkräfte in der Jugendhilfe ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen hat für uns oberste Priorität – auch in der Jugendhilfe. Um diesen zu stärken, haben wir wirksame Präventions‐ und Schutzkonzepte sowie Leitfäden erarbeitet, die wir stetig weiterentwickeln.“
Hinweis: Für Anliegen im Zusammenhang mit dem Aufarbeitungsprojekt kann das Sekretariat des Jugendamts unter Telefon 0711 216−55300 kontaktiert werden.