Historie, Rückgang und Gefährdung
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Obstanbau auf hochstämmigen Bäumen von der Obrigkeit unter anderem zur Ernährungssicherung in Notzeiten massiv gefördert und erlebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Blüte. So wurde im Gewann Kressart (Sonnenberg) in den 1920er Jahren das städtische Obstgut angelegt um Krankenhäuser, Alten- und Kinderheime mit frischen Obst zu versorgen.
Ab Mitte der 1950er Jahre setzte jedoch ein rascher Wandel ein. Aufgrund wachsendem Konkurrenzdruck und steigender Qualitätsansprüche des Handels und der Verbrauchende stellte der Erwerbsobstbau in klimatisch günstigen Lagen auf den intensiveren und wirtschaftlicheren Niederstammobstbau um. Unzählige Streuobstbestände wurden damals gerodet. Gleichzeitig mussten weitere Bestände Neubauprojekten bzw. einer intensiveren Grünlandnutzung weichen.
Übrig blieben vielerorts Streuobstbäume auf weniger geeigneten Standorten in Hanglagen, auf schlechteren Böden oder in kühleren Lagen für den Liebhaber‐ und den Selbstversorgerobstbau.
Mit der stetigen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ging leider auch hier das Interesse an der Bewirtschaftung deutlich zurück. Die Baumbestände überaltern und ungepflegte Wiesen werden von Brombeeren überwuchert und verbuschen zusehends; oder die Flächen wurden zu Freizeitgrundstücken umgenutzt.
Aktuell hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels. Hitzewellen und Trockenperioden schwächen die Obstbäume zusehends und machen sie stärker anfällig für Krankheiten und Schädlinge.
Funktionen und Bedeutung der Streuobstwiesen
Die Funktionen der Streuobstwiesen für Mensch und Umwelt sind nicht zu unterschätzen und so vielfältig wie die verschiedenen Obstarten, die man auf ihnen finden kann.
Neben ihrer ursprünglichen Funktion als Lieferant für Obst, Viehfutter und Brennholz, sind die Streuobstbestände heutzutage wichtiger Lebensraum und Rückzugsort für viele Pflanzen und Tiere. Streuobstwiesen gelten als einer der artenreichsten Lebensräume nördlich der Alpen und leisten damit einen erheblichen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt: Bei extensiver Bewirtschaftung kommen sowohl Tierarten des Offenlandes (nicht überbaute und nicht durch Bäume dominierte Gebiete) wie auch der Gehölze vor, und solche Arten, die von einer Verzahnung beider Lebensräume profitieren.
Gleichzeitig sorgen sie als Frischluftschneisen für ein gutes, ausgeglichenes Stadtklima und sind als Naherholungsgebiet sehr attraktiv.
Die verbliebenen Streuobstbestände stellen mit ihren unterschiedlichen, teilweise mehrere hundert Jahre alten Obstsorten ein kulturhistorisches Erbe wie auch ein Schatz genetischer Vielfalt dar. Im Hinblick auf künftige Züchtungen bietet diese Vielfalt eine gute Basis für Anpassungen an veränderte Klimabedingungen.
Pflege und Förderung
Heute gilt es umso mehr, diese einzigartige Kulturlandschaft mit all ihren wichtigen Funktionen zu erhalten. Ab Mitte der 1980er Jahre wurde die Bedeutung der Streuobstbestände neu erkannt. Seitdem engagieren sich die Landeshauptstadt Stuttgart, die Gemeinderatsfraktionen und zahlreiche Verbände und Initiativen sowie Privatpersonen für den Erhalt der Streuobstbestände in und um Stuttgart.
In Baden-Württemberg gilt seit 2020 zudem für Streuobstbestände ab 1.500 Quadratmeter ein gesetzliches Erhaltungsgebot. Unabhängig von weiteren Regelungen zu Landschafts- oder Naturschutz heißt dies, dass ohne behördliche Genehmigung beispielsweise vorhandene Obstbäume nicht ohne weiteres gerodet oder die Flächen als Freizeitgrundstück umgenutzt werden dürfen.
Die Landeshauptstadt unterstützt Streuobstwiesenbewirtschaftende finanziell über die Streuobstförderung innerhalb des Städtischen Naturschutzfonds. So wird der fachgerechte Baumschnitt oder das Nachpflanzen hochstämmiger Obstbäume bezuschusst. Nähere Informationen finden Sie beim Städtischen Naturschutzfonds (Öffnet in einem neuen Tab).
Auch das Land Baden-Württemberg bietet vielfältige Fördermöglichkeiten im Bereich Streuobst an, weitere Informationen dazu finden Sie unter www.streuobst-bw.info (Öffnet in einem neuen Tab).
Schützen durch Nützen
Der beste Schutz für Streuobstwiesen als von Menschen geschaffenes Biotop ist deren extensive Nutzung. Leider ist die Pflege der Bäume und Wiesen ziemlich aufwendig und die Obstverwertung meist unrentabel.
Ein Weg um die Obstnutzung attraktiver zu machen stellen die Aufpreisinitiativen dar. Mit dem „ Förderkreis Stuttgarter Apfelsaft (Öffnet in einem neuen Tab) – ökologischer Streuobstbau in Stuttgart e.V.“ ist eine der am längsten bestehenden Apfelsaft-Aufpreisinitiativen im Land in Stuttgart beheimatet. Finanziert über einen geringen Mehrpreis für eine Flasche Apfelsaft erhalten Streuobstwiesenbewirtschaftende den doppelten Marktpreis für ihre angelieferten Äpfel. Dabei müssen jedoch vorgegebenen Richtlinien zur ökologischen Erzeugung eingehalten werden und das Obst muss von Stuttgarter Gemarkung stammen.
Aber auch viele weitere Stuttgarter Erzeugende bieten zum Teil auf den Wochenmärkten oder als Direktvermarkter lokale Streuobstprodukte wie Most, Säfte, Destillate usw. an. So kann jede und jeder auch ohne eigenes „Stückle“ über den Kauf lokaler Streuobstprodukte einen Beitrag zum Erhalt der Streuobstwiesen leisten.
Weitere Informationen zu den Wochenmärkten und Direktvermarktung finden Sie bei der städtischen Wirtschaftsförderung.
Streuobstwiesen hautnah erleben
Ein interessantes Angebot für Schulklassen zum Thema Streuobstwiese finden Sie im Bereich Umweltbildung des Amts für Umweltschutz. Unter Anleitung erfahrener Streuobstpädagoginnen und Streuobstpädagogen können Grundschulkinder diesen wertvollen und schützenswerten Lebensraum mit allen Sinnen erleben und erforschen.
Die naturpädagogischen Veranstaltungen sind kostenfrei, näheres finden Sie hier.
Weitere Informationen zum Verein Streuobst-Pädagogen e.V. finden Sie auf ihrer Homepage (Öffnet in einem neuen Tab).
Streuobstwiesenbörse
Sie sind auf der Suche nach einer Streuobstwiese oder Äpfeln zum Aufsammeln? Oder Sie haben Obst übrig? Oder Sie benötigen Hilfe bei der Bewirtschaftung?
Auf der Online-Plattform (Öffnet in einem neuen Tab) finden Sie Angebote und Gesuche zu Kauf oder Pacht von Streuobstwiesenflächen, von Obst oder von Dienstleistungen und vieles mehr einfach und übersichtlich dargestellt.
Für weitere Informationen rund um das Thema Streuobst, zur Pflege und Fördermöglichkeiten geben die Streuobstfachstelle des Amts für Umweltschutz und die städtische Obstbauberatung gerne Auskunft. Auch bei den Obst- und Gartenbauvereinen (Öffnet in einem neuen Tab) in den einzelnen Stadtteilen finden sich erfahrene Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner.
Jochen Berger
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