Frühe Hilfen

ab 1921: Mit seiner Gründung bildet das Jugendamt vielfältige Schutzstrukturen und lokale Unterstützungssysteme aus, um sich den Bedürftigen vor Ort, in ihrem Umfeld zu widmen. Diesem Außendienst obliegt „die Aufgabe der Ueberwachung der Mündel, Pfleglinge und Kostkinder nach der wirtschaftlichen, gesundheitlichen und erzieherischen Seite, sowie die Pflegestellenvermittlung und -genehmigung“. Dafür ist die Stadt eingeteilt in „10 Fürsorgebezirke mit je 1 Fürsorgerin“. 

1924: Jetzt tritt die „Wochenfürsorge“ hinzu. Sie „soll den bedürftigen Wöchnerinnen das sicherstellen, was die Reichversicherungsordnung den Familienangehörigen eines Versicherten gewährt“.  

1928: Die „Mütterberatungsstunden“ sind ein weiteres Hilfsangebot. „In diesen von den Ärzten des Gesundheitsamts und den Fürsorgerinnen des Jugendamts gemeinsam abgehaltenen Stunden werden die Kost- und Pflegekinder sowie die Mündel des Jugendamts bis zum Eintritt in die Schule regelmäßig untersucht […]. Zugleich mit der Untersuchung werden entsprechende Ratschläge und Verhaltensmaßregeln für die Ernährung, Pflege und Erziehung der Kinder erteilt, gegebenenfalls auch Stillprämien und Stärkungsmittel verwilligt.“ 

1933–1945: In den Jahren des Nationalsozialismus werden aus den Fürsorgerinnen, die Bedürftige am Rande der Gesellschaft betreuen, Volkspflegerinnen. Mit ihrer Bezeichnung ändert sich auch ihre Bedeutung; ihr Einflussbereich und ihre Aufgaben wachsen.

Durch die enge Zusammenarbeit mit der NS-Volkswohlfahrt und ihre Verbindung mit dem Innendienst des Wohlfahrtsamts, also denjenigen Beamten, die über die Vergabe von Hilfen entscheiden, erreichen die Volkspflegerinnen und Volkspfleger nahezu jede Familie und haben 1938 „83.024 Hausbesuche durchgeführt, 47.755 Berichte abgegeben und daneben noch rund 6.300 Minderjährige ständig überwacht“.  

Damit sind die Volkspflegerinnen und Volkspfleger Teil einer Organisationsform, die es ermöglicht, „bei der Bemessung der Unterstützung neben der sich nach äußeren Merkmalen richtenden Gruppenzugehörigkeit zugleich auch den Wert und die Bedeutung des Hilfsbedürftigen und seiner Angehörigen für die Volksgemeinschaft zu berücksichtigen“.     

1990er-Jahre: Aufbauend auf den Studien und der Bindungstheorie von John Bowlby der 1940er- bis 1950er-Jahre wird im deutschsprachigen Raum ab den 1990er-Jahren die Bindungstheorie weiterentwickelt.  

1997: Sigrid Chamberlain veröffentlicht ihre sozial- und politikwissenschaftliche Analyse von Johanna Haarers nationalsozialistischem Erziehungsratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, der bis in die 1980er-Jahre aufgelegt wird, und arbeitet die Spätfolgen nationalsozialistischer Erziehung heraus.  

2000er-Jahre: Im Zuge der Auseinandersetzung mit der Bindungstheorie und der Förderung einer verlässlichen Eltern-Kind-Beziehung sowie mit dramatischen Kinderschutzfällen wie Jenny in Stuttgart nehmen Ansätze zur Unterstützung von Schwangeren und Familien mit Neugeborenen und kleinen Kindern zu. In Stuttgart wird die videogestützte Beratung in der städtischen Erziehungsberatung erprobt. Zunächst unter dem Titel „Frühe Förderung für Familien“, später entsprechend des deutschlandweiten Begriffs „Frühe Hilfen“ entsteht eine Vielzahl von Angeboten. Ein Überblick über die bisherigen Programme zur Förderung von Kindern und zur Stärkung von Eltern bietet die Gemeinderatsdrucksache 140/2005.

2009: Mit der Gemeinderatsdrucksache 592/2009 wird das Stuttgarter Rahmenkonzeption Frühe Förderung vorgestellt. Seit 2010 statten Mitarbeitende der Beratungszentren des Jugendamts Familien mit Neugeborenen Willkommensbesuche ab. Sie übergeben den Eltern das Stuttgarter Elternbegleitbuch, eine Orientierungshilfe für Familien. Das Beratungsangebot der Elterninformation im Jugendamt wird zu einer Familieninformation ausgebaut, die Familien und Fachkräften die Angebote der Frühen Hilfen in Stuttgart im Sinne einer Lotsin nahebringt. 

2015: Das Angebot „Guter Start für Familien – gesund und geborgen aufwachsen in Stuttgart“ entsteht. Es ist die Grundlage für den Ausbau der Kooperation mit Stuttgarter Geburtskliniken und der Familienunterstützung für Eltern nach ihrem Klinikaufenthalt. Der Jugendhilfeausschuss wird jährlich über die Entwicklung der Frühen Hilfen informiert.