Das erste Fazit: Der Kader ist gut aufgestellt, braucht aber bis zum Sommer noch Feinschliff im Zusammenspiel.
Bei der großen Stabsrahmenübung Ende Januar schalteten sich mehr als 150 Teilnehmende von der Stadtverwaltung und Feuerwehr, Landes- und Bundespolizei sowie den Rettungs- und Sanitätsdiensten mit dem Host City Operations Center (HCOC) des Veranstalters „in.Stuttgart“ zusammen. Dort sind während des Turniers in Stuttgart alle organisatorischen Fäden verknüpft. Auch die Integrierte Verkehrsleitzentrale (IVLZ) und die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) saßen für den Fall der Fälle mit am Tisch. Gleichzeitig waren die Führungsstäbe von Feuerwehr und Polizei in die Übung eingebunden.
Bundesakademie schult alle Ausrichterstädte
Das Planspiel leitete die zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gehörende Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ). Sie hat sich für alle zehn Ausrichterstädte der UEFA EURO 2024 im Vorfeld komplexe Übungsszenarien ausgedacht, um die Einsatzkräfte zu fordern und mit ihrer bundesweiten Erfahrung zu coachen. Stuttgart war die siebte Ausrichterstadt, in der dieser Praxistest lief. Laut dem Bürgermeister für Sicherheit und Ordnung hat die Übung Stuttgart in der Turniervorbereitung deutlich vorangebracht: „Es ist unser Ziel, während der Euro 2024 bei größeren Schadensfällen vorausschauend und gut koordiniert vorzugehen. Ganz wichtig ist dabei, dass die Zuständigkeiten je nach Gefahrenlage zwischen allen beteiligten Hilfsorganisationen und Einrichtungen eindeutig geklärt sind“, sagt Dr. Clemens Maier. „Die Zusammenarbeit zwischen den Führungsstäben muss dazu gut eingespielt sein. Vor allem muss auch geübt werden, dass die Kommunikation zwischen Stadtverwaltung, Veranstalter, Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr schnell und reibungslos funktioniert“, so der Bürgermeister weiter. „Das geht nicht allein in der Theorie, sondern es braucht die Übung anhand von konkreten Einsatzszenarien – quasi ein ambitioniertes Trainingslager. Dazu wollten wir nicht nur Standardsituationen, sondern auch unvorhergesehene Ereignisse einstudieren und proben.“
Auch wenn es derzeit keine konkrete Gefährdung für die Spiele in Stuttgart gibt, kommt mit der Europameisterschaft vom 14. Juni bis zum 14. Juli eine Großveranstaltung mit internationaler Bedeutung in die Stadt. Mit fünf Turnierspielen im großen Stadion (der MHP-Arena, während der EM offiziell die „Stuttgart Arena“), vier Fanzonen in der City samt Public Viewing für alle EM-Partien sowie einem Monat lang Rahmenprogramm mit dem Motto „Die ganze Stadt ein Stadion“ dürften hunderttausende Fußballfans aus dem In- und Ausland Stuttgart besuchen. Unvorhergesehenes kann daher immer geschehen und bei einem solchen Großereignis schnell andere Dimensionen annehmen als im Alltag der Landeshauptstadt.
Und so zog die Übungsleitung der Bundesakademie alle Register, was eine Gastgeberstadt beschäftigen könnte – gerade auch durch die Verknüpfung kniffliger Situationen. Stress zu erzeugen, gehörte zum Trainingsziel. Sechs Stunden lang überschlugen sich die Ereignisse – in schneller Folge wie sonst nur in einem Actionfilm – und ließen die Teilnehmenden in den Lagezentren von Stadt, Landes- und Bundespolizei, Feuerwehr und Veranstalter nicht zur Ruhe kommen: aufziehende Unwetter, lahmgelegter Flughafen, Verkehrsunfälle mit Straßensperrungen, Brände mit giftigen Rauchschwaden, vermisste Kinder, Schlägereien zwischen rivalisierenden Fangruppen, spontane Demonstrationszüge bis hin zu schweren Straftaten und Falschmeldungen auf Social Media-Kanälen über vermeintliche Bedrohungen. Die Reihe der fiktiven Vorfälle schien nicht abzureißen. So machte der Scherz die Runde: „Eigentlich haben wir alles bis auf einen Vulkanausbruch auf dem Rotenberg durchgespielt.“
Mannschaft muss sich einspielen
Es galt, für jede der Situationen alle planerischen Fragen abzustimmen und organisatorische Schritte wie im Ernstfall zu veranlassen – außer, dass die Einsatzkräfte nicht wirklich ausgerückt sind. Für die Stadtverwaltung lag die Koordination bei dem Amt für öffentliche Ordnung. „Dieser Probelauf war für uns sehr aufschlussreich“, bilanziert Dr. Albrecht Stadler, der Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung. „Wie beim Fußball müssen wir eingespielt sein. Wir mussten uns fragen: In welcher Aufstellung treten wir an, was ist unsere Taktik, wer spielt wem die Bälle zu? Da sind wir recht schnell eine echte Mannschaft geworden, die gut harmoniert hat.“ Anders als für die eintägige Übung sind nun noch Pläne zu schmieden, wie bei dem vierwöchigen Großereignis die notwendigen Schichtwechsel reibungslos gelingen sowie wer bei kurzfristigen Ausfällen eingewechselt und nahtlos übernehmen kann.
Bei der behördenübergreifenden Manöverkritik kamen dafür Vorschläge. So soll ein standardisierter Überblick über die Entwicklung auf Bildschirmen die Problemlage für alle jederzeit sichtbar machen. Hierfür wird das gemeinsame Einsatzzentrum bei der UEFA EURO 2024 technisch wesentlich bessere Möglichkeiten bieten als der für die Übung provisorisch umfunktionierte Sitzungssaal im Rathaus. Zugleich mahnten die Coaches, für den Fall eines technischen Defekts immer auch analoge Alternativen bereit zu halten.
Erfolgsfaktor Nummer eins bleibt jedoch der Mensch. Polizeipräsident Markus Eisenbraun merkte bei der Abschlussdiskussion an: „Wir brauchen vor allem klare und einheitliche Informationen in den jeweiligen Stäben, die an unterschiedlichen Orten sitzen; da kommt den Verbindungspersonen der anderen Organisationen, die man gegenseitig entsendet, eine noch wichtigere Bedeutung zu.“ Insgesamt zieht der Polizeipräsident ein positives Fazit. „Die einzelnen Akteure, insbesondere von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei sind durch vergangene Ereignisse und Veranstaltungen bereits eingespielte Teams, die während der EURO 2024 gemeinsam die Sicherheit der Veranstaltungen gewährleisten werden.“
Auf Grundlage dieser Großübung, ergänzt um die Erfahrungen der Bundesakademie des BBK aus den Übungen der anderen Ausrichterstädte, gilt es für die Stuttgarter Sicherheitskräfte nun, in den nächsten Monaten weiter für die Europameisterschaft zu trainieren.