Heimerziehung und Erziehungshilfen

1921–2021: „Die Fürsorgeerziehung war immer eine umstrittene Maßnahme.“ Mit diesen Worten eröffnet Oberfürsorger Bauer seinen Bericht über ehemalige Fürsorgezöglinge und deren weiteren Werdegang. In der nichtöffentlichen Sitzung der Jugendwohlfahrtskommission am 28. Mai 1948 geht es um die Heimunterbringung. Diskutiert werden die Maßnahme und ihre Folgen für die Betroffenen – aber auch für die Betreuenden: „Die Wege trennen sich. Was wird aus ihm werden, denkt mancher [Betreuer, Anm. d. Red.], der im Laufe der Zeit mit seinem Schützling weder Zeit noch Mühe gescheut hat.“  

Die Fragen, die eine Heimunterbringung aufwirft, sind zeitlos und begleiten das Jugendamt und seine Mitarbeitenden seit hundert Jahren: „Ist die Massnahme nicht zu hart, was wird erreicht, lohnen sich die aufgewendeten Mittel, wie verhält es sich, wenn der Jugendliche nach dem Anstaltsaufenthalt wieder mit dem wirklichen Leben zusammentrifft?“ 

1951: Die Erziehungsabteilung des Jugendamts führt weiterhin eigene stationäre Einrichtungen der Heimerziehung. Dazu zählen etwa das Kernerheim, ein städtisches Jungenwohnheim, das Kinderbeobachtungheim Sillenbuch als Diagnostikeinrichtung der Erziehungsberatung sowie ab 1954 das Kinderdorf Gutenhalde. Ob ein Kind dort untergebracht wird, das heißt, ob Fürsorgeerziehung angeordnet wird, entscheidet ein Gericht, „und zwar das Amtsgericht als Vormundschaftsgericht“. Dennoch „wird das Jugendamt in schärfster Weise kritisiert“ und steckt immer in dem Dilemma des Zu-früh-Eingreifens oder Zu-spät-Eingreifens, je nach Perspektive.   

1961: Eine eigene Abteilung Sozialpädagogische Heime wird gebildet, die die Jugendhilfeeinrichtungen in der Trägerschaft des Jugendamts zusammenfasst. Der Bau der beiden Pflegenester Fasanenhof I und II und die Neugründung von Jugendwohngruppen machen diesen Schritt notwendig.  

Ab 1970: Zur Abteilung Sozialpädagogische Heime des Jugendamts gehört jetzt eine Vielzahl von Heimen und Wohngruppen, in denen Kinder verschiedener Altersgruppen leben:  

• das Kinderdorf Gutenhalde mit zunächst vier, dann sechs Kinderhäusern, einem Mädchenheim, einem Pflegenest und einer Schule für Erziehungshilfe
• das städtische Jungenheim Kernerstraße (Kernerheim)
• das Kinderbeobachtungsheim Sillenbuch
• die früheren Pflegenester, jetzt Kinderhäuser Fasanenhof I und II; Fasanenhof I ist heute die Wohngruppe Asangstraße
• die Wohngruppe Silberburg, eine frühe Ausgründung aus dem Kinderdorf Gutenhalde
• das Eduard-Pfeiffer-Kinderheim bis 2007
• das Kinderhaus Degerloch
• das Kinderhaus Plieningen
• das Kinderhaus Uhlbach, seit 2012 die Wohngruppe Schwanenstraße
• die Jugendwohngruppen in der Wilhelmstraße, in der Oberen Weinsteige sowie in der Alten Weinsteige, heute die Wohngruppe Zacke 

Der Abteilung Sozialpädagogische Heime zugeordnet werden auch die beiden Mütterwohnheime Ludwigstraße und Solitudestraße, die zuvor in der Verantwortung der Abteilung Amtsvormundschaften lagen.  

Das Gleiche gilt für die beiden städtischen Kindererholungsheime, das Kindersolbad Bad Rappenau und das Hallberger Haus in Kressbronn am Bodensee. Sie verbleiben bis zu Schließung und Verkauf in der Abteilung Sozialpädagogische Heime. 

Nach 1945: Die Erziehungsabteilung ist immer auch Trägerin der zentralen Inobhutnahmeeinrichtungen des Jugendamts: Zunächst werden Minderjährige im Pflegenest des Kinderdorfs Gutenhalde, später im Kinderhaus Degerloch, seit den 1960er-Jahren im Eduard-Pfeiffer-Haus und ab 1979 im Jugendschutz Kernerstraße in Obhut genommen.  

Damit einher geht die Verantwortung für die Aufnahme und Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Ende der 1940er- und Anfang der 1950er-Jahre sind es die „sogenannten ‚heimatlosen Jugendlichen“, die in den Einrichtungen in Obhut genommen werden, wie das Amtsblatt 1951 berichtet: „Ihre Zahl ist zwar im Abnehmen begriffen, aber immer noch ziehen viele Tausende von Jugendlichen in Deutschland umher, teils weil sie wirklich heimatlos sind, teils aber auch, weil sie es dort, wo sie zu Hause sein könnten, nicht aushalten zu können glauben.“ In den 1970er- und 1980er-Jahren werden die sogenannten Boat-People aus Vietnam aufgenommen, seit Beginn der Kriege und Krisen in Afghanistan in den 1980er-Jahren Jugendliche von dort, in den 1990er-Jahren verstärkt Flüchtlingskinder aus dem zweiten Golfkrieg und aus dem Jugoslawienkrieg sowie seit 2010 junge Flüchtlinge aus dem arabischen Raum.  

2014: Durch die Inobhutnahme und Versorgung sämtlicher unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Stuttgart erlebt die Abteilung Erziehungshilfe in den Jahren bis 2016 zunächst ein starkes Wachstum, danach einen sukzessiven Rückbau. In dieser Zeit werden phasenweise zwölf Inobhutnahmestandorte beziehungsweise Einrichtungen betrieben, die in der Folge bis auf die Inobhutnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Kupferstraße alle wieder geschlossen werden.

1921–1963: Die Vermittlung von Kindern in Adoptions- und Pflegefamilien ist von Beginn an eine der zentralen Aufgaben des Jugendamts. Die Mitarbeitenden kümmern sich um die rechtliche Seite der Unterbringungen, vor allem aber auch um die menschliche, denn: „Viele Kinder, insbesondere Kleinkinder, die vom Jugendamt zu betreuen und zu versorgen sind, wären besser in Familien als in Heimen untergebracht“, wie der Bericht der Sozialverwaltung aus dem Jahr 1959 betont. 

Was das Verhältnis von Adoptionswilligen und Pflegekinderstellen angeht, zeigt sich in den Statistiken von 1921 bis 1963 stets ein ähnliches Bild: „Der Bedarf an guten Familienpflegestellen ist […] weit größer als die Zahl der angebotenen Stellen.“ Bei Adoptionen hingegen ist es andersherum; hier gibt es weit mehr Adoptionswillige als zur Vermittlung freigegebene Kinder. 

1963 entsteht eine eigenständige Dienststelle Pflegekinder- und Adoptionsvermittlung. Bis dahin werden etliche Fälle von Pflegekinder- und Adoptionsanträgen dem Jugendamtsausschuss einzeln vorgetragen, dort diskutiert und bewertet.