Renninger erhält die Otto-Hirsch-Auszeichnung „aufgrund ihrer tiefen Verwurzelung im interreligiösen, interkulturellen und vor allem christlich-jüdischen Dialog, ihr wirkmächtiges Eintreten für gesellschaftlichen Diskurs und eine nachhaltig gelebte und erfahrbare Gedenkkultur und für ihr Engagement für gesellschaftliche Bildung und Begegnung in Stuttgart“, so die Jurybegründung.
Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper sagte: „Die Stadt Stuttgart war 1948 eine der ersten Städte, in der sich eine Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gründete. Der Stadt ist das gute Miteinander der Religionen ein wichtiges Anliegen. Es sind Menschen wie Monika Renninger, die sich dafür in hervorragender Weise engagieren. Mit ihr zeichnen wir eine Stuttgarter Bürgerin aus, die sich um Freundschaft und Miteinander der Religionen in unserer Stadt hoch verdient gemacht hat. Unter der Leitung von Monika Renninger hat sich der Hospitalhof zu einem Impulsgeber für den interreligiösen Dialog in Stuttgart entwickelt.“
Laudator war Prof. Dr. Erhard Blum, ehemaliger Professor für Altes Testament an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen sowie Vorsitzender des Vereins „Studium in Israel“ (2007 bis 2014). Professorin Barbara Traub, Vorstandssprecherin der IRGW, und der stellvertretende evangelische Vorsitzende der GCJZ Stuttgart, Peter Stadler, haben die Gäste begrüßt.
In einer Videobotschaft richtete sich Bernadette Brooten, amerikanische Theologin, Hochschullehrerin an der Harvard Divinity School sowie Brandeis University und langjährige Webbegleiterin von Monika Renninger, an die Ausgezeichnete: „Ich habe beobachtet, dass Monika Renninger schwierigen Themen nicht ausweicht. Sie versucht immer einen Weg zu finden, andere so zu verstehen, wie sie selbst verstanden werden will. Das alles zum Ziel, dass sich Menschengruppen nähern können, und einander unterstützen und bereichern können. Dies ist sowohl eine intellektuelle wie auch menschliche Leistung, die es zu würdigen gilt.“
Alles wirkliche Leben ist Begegnung
Monika Renninger ist Pfarrerin der Evangelische Landeskirche in Württemberg. Sie leitet seit 2014 den Hospitalhof, das Bildungs- und Tagungszentrum der Evangelischen Kirche in Stuttgart. Das jüdisch-christliche und das interreligiöse Gespräch sind seit Studienjahren in Jerusalem und Boston sowie weiteren Studienaufenthalten in Israel und den USA inhaltliche Schwerpunkte ihrer Arbeit. Dies hat in vielerlei Aktivitäten, auch in ihrer Zeit in der evangelischen Nordgemeinde, Ausdruck gefunden, in der sie von 2000 bis 2013 als geschäftsführende Pfarrerin unter anderem mit Schülerinnen und Schülern jedes Jahr die Gedenkfeier am Killesberg mitgestaltet und die Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ begleitet hat. Für gute Nachbarschaft zwischen Christen und Muslimen steht der Arbeitskreis Abraham sowie interreligiöse Einschulungsfeiern an der Rosensteinschule, beides in ökumenischer Partnerschaft mit der katholischen St. Georg-Gemeinde gegründet.
Monika Renninger wählte als Titel für ihre Ansprache den Satz: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, der vom Religionsphilosophen Martin Buber aus seiner Schrift „Ich und Du“ aus dem Jahre 1923 stammt, sie sagte: „Für den jüdischen Philosophen Martin Buber ereignet sich nur im Dialog auf Augenhöhe wirkliche Begegnung. Dieser Gedanke leitet alle, die sich im interreligiösen Gespräch engagieren. Von allen habe ich gelernt, dass tiefes und wahrhaftiges Interesse am Anderen, das Wissen- und Kennenlernen-Wollen dessen, was die Anderen bewegt, der Schlüssel zu einer Begegnung auf Augenhöhe ist, aus der ein Gespräch entsteht. Solche Begegnungen haben sich in den zurückliegenden Jahren in meiner Arbeit in Kirchengemeinden, beim Kirchentag und heute im Hospitalhof fortgesetzt. Wir nehmen dabei Stellung gegen Radikalisierung, gegen Vorurteile, gegen Antisemitismus, gegen Missachtung von Menschen.“
Hospitalhof als Impulsgeber
Der Hospitalhof wurde unter ihrer Leitung zu einem Impulsgeber für den interreligiösen Dialog in Stuttgart und zum gastgebenden Ort für Veranstaltungen der jüdischen Gemeinde und muslimischer Verbände. Gedenkveranstaltungen wie die zur Reichspogromnacht am 9. November mit Schülerinnen und Schülern aus dem St. Agnes-Gymnasium gemeinsam gestaltet oder kooperative Veranstaltungen mit den Gedenkstätten „Zeichen der Erinnerung“ sowie „Hotel Silber“ gehören zum Programm im Hospitalhof, ebenso wie Veranstaltungen der Jüdischen Kulturwochen.
Renninger organisiert Veranstaltungsreihen zum Thema Antisemitismus, zu neuen Impulsen aus der Islamwissenschaft, zu Aspekten des Themas Migration und Integration sowie zum interreligiösen Gespräch zwischen jungen Erwachsenen. Das „Interreligiöse Frauenmahl“ versammelt einmal im Jahr muslimische, christliche und jüdische Frauen zu einem gemeinsamen Festabend. Regelmäßig gibt es zusammen mit dem „Haus Abraham“ ein Fastenbrechen im Ramadan. Für das erste Halbjahr 2021 ist zusammen mit der Landeszentrale für Politische Bildung, der Evangelischen Akademie Bad Boll und der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg eine Reihe zu „Jüdisches Leben in Deutschland“ in Vorbereitung.
Otto-Hirsch-Auszeichnung
Mit der Otto-Hirsch-Auszeichnung werden Persönlichkeiten, Gruppen oder Initiativen geehrt, die sich in besonderer Weise um die interreligiöse Zusammenarbeit vor allem zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben. Stadt Stuttgart, Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) und Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) verliehen die Auszeichnung von 1985 bis 2012 in Form einer Medaille. Seit 2013 erhalten die Geehrten eine von der Künstlerin Christine Braun gestaltete Skulptur aus transluzentem Beton, durchzogen von optischen Fasern. Sie nehmen bestehende Lichtquellen auf und leiten sie durch den Beton. Die Form ist offengehalten, kann als Grundstein oder Mauerelement gesehen werden, als Schrifttafel, Buch, Rosetta-Stein oder Teilstück eines gemeinsamen Hauses.
Über Otto Hirsch
Otto Hirsch kam am 9. Januar 1885 in Stuttgart zur Welt. Er besuchte das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium und studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg, Leipzig, Berlin und Tübingen. Nach seiner Promotion 1912 begann er seine Tätigkeit bei der Stadt Stuttgart. Als Ministerialrat im württembergischen Innenministerium war er 1921 Mitbegründer der Neckar-Aktiengesellschaft, wurde jedoch 1933 von den Nationalsozialisten aufgrund seines jüdischen Glaubens entlassen. Bereits 1926 gründete er mit seinem Freund Leopold Marx das Jüdische Lehrhaus Stuttgart und wurde 1930 Präsident des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. Als Geschäftsführender Vorsitzender der Reichsvertretung der Deutschen Juden (1933-1941) setzte er sich unter schwierigsten Bedingungen für die verfolgten Juden ein. Mit seiner Hilfe konnten zehntausende Juden nach 1933 durch Auswanderung gerettet werden. Otto Hirsch wurde im Februar 1941 zum dritten Mal verhaftet und am 19. Juni 1941 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet.
(Hinweis: Aktualisiert am 08.10.21)