„Benztown“ oder „Porschecity“ – wie kaum eine andere Metropole in Deutschland gilt Stuttgart als eine Stadt des Automobils. Das Label beruht nicht allein auf dem Produktionsstandort, sondern auch auf der Infrastruktur, vom Neckartor bis zum Österreichischen Platz.
Professor Reinhold Bauer, Inhaber der Professur für die Wirkungsgeschichte der Technik am Historischen Institut, zeichnet im Stadtlexikon die Geschichte des Schwabtunnels nach und beginnt mit der fast vergessenen Erkenntnis, dass Stuttgart mal eine Straßenbahn-Stadt war.
Als 1894 mit den Planungen für den Schwabtunnel begonnen wurde, war eine einspurige Linienführung eingeplant, die später um ein zweites Gleis ergänzt werden sollte. Der 125 Meter lange Tunnel war notwendig geworden, um das rasch wachsende Arbeiterviertel Heslach (die damalige Karlsvorstadt) und den Westen der Stadt, wo sich Gewerbe angesiedelt hatte, direkt zu verbinden.
1972 fuhr die letzte Straßenbahn durch den Schwabtunnel.
Das von Baurat Karl Kölle umgesetzte Bauvorhaben stellte eine technische Herausforderung dar, doch galt es zudem, das Werk ästhetisch aufzuwerten. Die Materialvielfalt ergänzt die Schmuckformen und das bemerkenswerte Bildprogramm. Der Stuttgarter Bildhauer Theodor Bausch schuf auf der Heslacher Seite ein Ensemble, das die Stadt als eine, auch dank der Industrie, prosperierende Kommune inszenierte. Eine Handwerkerfigur und eine Muse mit Weinrebe flankieren das Stadtwappen mit dem Rössle.
Diese Kombination von Genuss und Arbeit, aber auch von altem und neuem Stuttgart war ursprünglich gar nicht vorgesehen, denn die ersten Entwürfe des Tunneleingangs zeigen an dieser Stelle nur zwei dicke Putten als Wappenhalter. Neben verschiedenen Planskizzen, historischen Aufnahmen und einigen Postkarten besitzt das Stadtarchiv auch ein für die Stadtgeschichte besonderes Objekt: Ein Gedicht, das zu der Eröffnung von einem Autor mit dem Pseudonym „Kirschen-Peter“ publiziert worden ist:
Mit Suez und mit Panama,
Wurd‘ einstens viel rumoret –
Wie herrlich steht dagegen dar,
das Loch, das wir gebohret.
Die scheinbare Hybris, sich mit dem 1869 fertiggestellten Suezkanal oder dem von Skandalen und Kostenexplosionen erschütterten Panamakanal zu vergleichen, wird bereits durch die Dimensionen ad absurdum geführt.
Der Schwabtunnel war 1896 der breiteste Tunnel Europas.
Bezüge zu Märchenwelt und Mythologie finden sich ebenfalls, wenn auf die im Bergwerk umtriebig tätigen Zwerge verwiesen wird. Hauptsächlich gibt es jedoch Anspielungen auf Stuttgarter Persönlichkeiten, nicht zuletzt auf Baudirektor Friedrich Laißle. Aus seinem Nachlass stammt das Gedicht:
Durch seine Mähne Laissle fährt
Vor Freude ungeberdig
Das Loch, das er so heiss begehrt,
Das große Loch ist fertig.
Nur Eines kenn‘ ich, grösser noch
Nicht Boden hat’s noch Deckel
Das unverbesserlich Loch
In uns’rem städt’schen Seckel.
Der Schwabtunnel war der erste städtische Straßentunnel im Deutschen Reich – und, man mag es angesichts der heutigen Diskussion um die gemeinsame Nutzung von Auto-, Fuß- und Radverkehr auf engem Raum kaum glauben, zum Zeitpunkt seiner Eröffnung auch der breiteste Tunnel Europas. Bereits im Jahr 1900 soll das erste Auto durch den Tunnel gefahren sein.
Heute fahren rund 15.000 Fahrzeuge täglich durch den Tunnel.
Ende 1943 war der Schwabtunnel dann für jeglichen Verkehr gesperrt: Er wurde zum Luftschutzraum. Erst 1946 erhielt er seine Funktion als Verkehrstunnel zurück. Im Laufe der Zeit wuchs der Autoverkehr immer weiter an. 1972 fuhr die letzte Straßenbahn durch den Schwabtunnel und wurde dann eingestellt. Heute passieren rund 15.000 Fahrzeuge täglich den Tunnel und es steht ein Verkehrsversuch im Raum, bei dem aus Richtung Heslach keine Autos mehr fahren dürfen.