Herr Nopper, die Hälfte Ihrer ersten Amtszeit als Oberbürgermeister endet am 3. Februar. Zeit für eine Zwischenbilanz. Wie beurteilen Sie Ihre ersten vier Jahre im Amt?
Frank Nopper: Dieses Urteil steht nicht mir zu, sondern Dritten. Die ersten beiden Jahre meiner Amtszeit waren von einer starken zeitlichen und inhaltlichen Inanspruchnahme durch äußere Einflussfaktoren geprägt – vom Krisenmanagement bei der Corona‐Pandemie und nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Die Stadt ist an verschiedenen Stellen attraktiver geworden – beispielsweise durch einen neu gestalteten Marktplatz und ein dort bald fertiggestelltes neues Haus des Tourismus, durch einen neuen Bahnhofsplatz in Bad Cannstatt, durch eine neue Freitreppe vor dem Stadtpalais. Mit dem Baubeginn für das Neckarufer in Untertürkheim haben wir zudem einen ersten Schritt gemacht, um die Stadt näher an den Neckar zu bringen. Die städtische SWSG wurde durch eine 200-Millionen‐Kapitalspritze in die Lage versetzt, innerhalb von fünf Jahren knapp 2000 zusätzliche Wohnungen mit fairen und bezahlbaren Mieten zu schaffen – ein absoluter Rekordwert unter den größten deutschen kommunalen Wohnungsunternehmen. Auch auf den Siebenmeilenschritt, den wir in Sachen Digitalisierung gemacht haben, blicke ich mit Zufriedenheit zurück. Mit der Gründung des Amtes für Digitalisierung, Organisation und IT, mit der massiven Verstärkung der Digitalisierung an Schulen, für Schülerinnen und Schüler sowie nicht zuletzt mit der Digitalisierung innerhalb der gesamten Verwaltung. Bis 2026 wollen wir insgesamt bis zu 200 Millionen Euro in die Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung investieren. Und nicht zuletzt haben wir auch für mehr Sicherheit und für ein besseres Sicherheitsgefühl in der Stuttgarter Innenstadt gesorgt – unter anderem mit der Einrichtung einer Waffenverbotszone im Cityring sowie mit der Schaffung einer Videoüberwachung im Umfeld des Schlossplatzes gegen anfängliche Widerstände im Gemeinderat.
Im Sommer 2022 hat der Gemeinderat das Ziel der Klimaneutralität nachgeschärft und entschieden: Stuttgart soll bereits 2035 anstatt 2050 klimaneutral sein. Welche Schritte wurden bislang unternommen, um dieses Ziel zu erreichen?
Frank Nopper: Wir sind in Sachen Klimaschutz vor allem viel stärker in die Umsetzung gekommen als in der Vergangenheit. Dieses neue Klimaziel wollen wir mit noch nie dagewesenen geplanten und zum Teil auch schon umgesetzten Milliarden‐Investitionen in den Klimaschutz durch die Stadtwerke, durch die SSB, durch die SWSG vorantreiben. Die Infrastruktur für E‐Mobilität wurde massiv ausgebaut, sodass Stuttgart bundesweit den Spitzenplatz belegt. In keiner deutschen Großstadt gibt es je Einwohner mehr Ladepunkte als bei uns.
Welche Herausforderungen haben Sie in den letzten vier Jahren besonders beschäftigt?
Frank Nopper: Die gerade auch durch die bisherigen Vorgaben aus Brüssel drohende Gefährdung des Automobilstandorts Stuttgart und der damit einhergehende Verlust von vielen Arbeitsplätzen in Stadt und Region, der Fachkräftemangel in der Stadtverwaltung und die damit verbundene Überlastung gerade auch unserer bürgernahen Ämter, der nach wie vor bestehende Mangel an Wohnungen in unserer Stadt, die Änderung von § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz durch den Deutschen Bundestag, welche eine Aufsiedlung des Rosenstein‐Quartiers mit bis zu 5700 Wohnungen für über 10 000 Menschen unmöglich machen würde.
Was kann man denn konkret zur Verbesserung der Bürgerservices unserer Stadt tun?
Frank Nopper: Die Frage der Verbesserung der Bürgerservices unserer Stadtverwaltung, wie etwa der Bürgerbüros, des Baurechtsamts, der Ausländerbehörde, der Kfz‐Zulassungsstelle, der Führerscheinstelle, ist mir ein großes Anliegen. Wir haben die teilweise über 30 Prozentunbesetzten Stellen in einigen Bereichen – trotz aller Bemühungen – noch nicht nachbesetzen können, bei gleichzeitig insbesondere in der Ausländerbehörde steigenden Fallzahlen. Jedoch waren wir alles andere als untätig. Um als Arbeitgeber attraktiver zu werden, haben wir für alle Tarifbeschäftigen eine Stuttgart‐Zulage eingeführt und wir übernehmen zudem für Tarifbeschäftigte und Beamte die Kosten für das Deutschland‐Ticket.
Oberbürgermeister Dr. Frank NopperWir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um insbesondere in den bürgernahen Bereichen schneller und effizienter zu werden.
Wir werden für die Kfz‐Zulassungsstelle und die Führerscheinstelle am Löwentorbogen und für die Ausländerbehörde am Bollwerk neue Verwaltungsgebäude beziehen, in denen der Bürgerservice für alle Beteiligten optimiert werden kann. Es ist unser erklärtes Ziel, eine bürgerorientierte, moderne und attraktive Verwaltung zu sein.
Manche meinen, die Stimmung in der Landeshauptstadt sei schlechter als die Lage. Was wollen Sie für Stuttgarts Image tun?
Frank Nopper: Die Stimmung bei manchem vor Ort ist in der Tat schlechter als die Lage. Und die Stimmung derjenigen, die als Gäste in unsere Stadt kommen, ist in vielen Fällen besser als diejenige von uns selbst. Stuttgart steht bei aktuellen Städterankings im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten sehr gut da. Im jährlichen deutschen Städteranking des Magazins Wirtschaftswoche haben wir Ende 2024 die Silbermedaille errungen. Nur unser Erzrivale München konnte sich in diesem Städteranking noch vor Stuttgart platzieren. Für das Städterranking waren die Faktoren Arbeitsmarkt, Wirtschaftsentwicklung, Lebensqualität, Immobilienmarkt und Nachhaltigkeit entscheidend. Dies zeigt, dass Stuttgart in vielen Bereichen und Feldern auf einem sehr guten Weg ist. Nach einer anderen Auswertung der Wirtschaftswoche ist Stuttgart zur Start‐up‐ Hauptstadt Deutschlands emporgestiegen – vor Düsseldorf, Frankfurt, München und Hamburg. Mit etwa 300 Startups hat sich Stuttgart gerade in den letzten Jahren zu einem respektablen Gründungsstandort entwickelt, insbesondere im B2B‐Bereich, also dem Angebot von Produkten und Dienstleistungen für Geschäftskunden besteht die Stärke der Start‐up‐City Stuttgart. Und im vergangenen Sommer haben wir uns als Gastgeberstadt der UEFA EURO 2024 auch im europäischen Maßstab gut präsentiert. Als einzige deutsche Gastgeberstadt waren wir Austragungsort von zwei Spielen der deutschen Fußballnationalmannschaft. Und wir haben in Stuttgart nicht nur einen VfB, der in der Champions‐ League spielt, sondern auch ein Stadion, das nach einer für die UEFA EURO 2024 getätigte Investition von 140 Millionen Euro höchsttauglich für alle Königsklassen in Deutschland und Europa ist.
Sie gelten als sehr bürgernah und absolvieren eine Vielzahl von Terminen vor Ort. Warum ist Ihnen der Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern so wichtig?
Frank Nopper: Der Kontakt zu den Menschen ist mir deswegen so wichtig, weil man im persönlichen Gespräch vieles erfahren und lernen kann. Man erfährt, wo den Menschen im Alltag vor Ort der Schuh drückt. Man erfährt, was die Menschen bewegt. Man erfährt, was die Stadtverwaltung und die Kommunalpolitik besser machen könnten. Es geht auch um Wertschätzung und Würdigung der Bürgerschaft. Deswegen habe ich auch ganz neue Formate geschaffen, mit denen wir viel näher an die Bürgerschaft und die Wirtschaft herangerückt sind – die Sommertour des Oberbürgermeisters durch alle 23 Stadtbezirke, die OB‐Sommertour durch eine Vielzahl von Unternehmen, der City‐Dialog mit den Innenstadt‐Akteuren aus Einzelhandel, Gastronomie, Hotellerie und Dienstleistern, der neue Wirtschaftsempfang gemeinsam mit der Wirtschaft und für die Wirtschaft. Und viele Bürgerinnen und Bürger wollen auch einen Oberbürgermeister zum Anfassen. Wer die Menschen liebt, muss auch zu ihnen gehen – in die Stadtbezirke, zu den Festen, zu den Jubiläen und besonderen Anlässen.
Wie sieht ein typischer Tag im Leben eines Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt aus?
Frank Nopper: Der typische Tag des amtierenden Oberbürgermeisters beginnt um 8.30 Uhr und endet um 21.00 Uhr. An den Wochenenden ist er in aller Regel stundenweise im Rathaus am Schreibtisch und zudem bei vielen Repräsentationsterminen vor Ort – von Plieningen bis Mühlhausen und von Bad Cannstatt bis Weilimdorf. Der Oberbürgermeister hat nach der baden‐württembergischen Kommunalverfassung drei Hauptaufgaben: Er ist der Chef der Stadtverwaltung mit fast 16 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, er ist stimmberechtigter Vorsitzender des Gemeinderats und er ist der oberste Repräsentant der Stadt. Diese drei Aufgaben muss er miteinander in Einklang bringen – was eine große Herausforderung darstellt. Zum Vergleich: In unseren englischen Partnerstädten werden diese drei Hauptaufgaben nach der dortigen Kommunalverfassung von drei verschiedenen Persönlichkeiten wahrgenommen. Und, was vielleicht vielen nicht so bewusst ist, ein guter Teil der Tätigkeit des Oberbürgermeisters findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Er hat nämlich zudem den zeitintensiven und anspruchsvollen Vorsitz in einer Vielzahl von Aufsichts‐ und Verwaltungsräten, die in aller Regel nicht öffentlich tagen. So wird etwa beim Zweckverband Bodenseewasserversorgung das Milliardenprojekt „Zukunftsquelle“ vorangetrieben und bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG werden unter anderem anspruchsvolle Planungen für neue Betriebshöfe in Gaisburg und Hausen sowie die millionenschweren Beschaffungen von emissionsfreien Bussen beraten und beschlossen.
Blicken wir auf die zweite Hälfte Ihrer ersten Amtszeit. Welche Themen möchten Sie hier im Besonderen in den Blickpunkt nehmen?
Frank Nopper: Wir müssen uns auf unsere Stärken konzentrieren. Und wir müssen uns dem Wesentlichen zuwenden. Oberste Priorität haben sichere Arbeitsplätze und eine starke Wirtschaft, gerade auch eine starke Automobilwirtschaft. Wir müssen Stuttgart als Wissenschafts‐und Innovationstandort, als Forschungs‐ und Technologiezentrum in Europa mit einer seit jeher technisch‐naturwissenschaftlichen Ausrichtung entschlossen vorantreiben. Unter dem Wesentlichen, dem wir uns zuwenden müssen, verstehe ich die Sanierung, Modernisierung und Erweiterung unserer Infrastruktur, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten sträflich vernachlässigt haben. Es geht um unsere Schulen und Kindertagesstätten sowie auch um die übrige städtische Infrastruktur. Brücken, Verwaltungsgebäude, Straßen, Wege und in Stuttgart auch Stäffele brauchen unsere volle Aufmerksamkeit. Allein für den Erhalt unserer Brücken werden wir in den nächsten Jahren voraussichtlich eine Milliarde Euro einsetzen müssen – bisher waren dafür lediglich28 Millionen Euro geplant. Auch unsere sehr ambitionierten Ziele beim Wohnungsbau und beim Klimaschutz müssen weiterverfolgt werden. Die Fertigstellung des Projekts Stuttgart 21 erfolgt, wenn alles gut geht, im Dezember 2026. Das Projekt hat unsere Stadt lange gespalten – wie wohl kein anderes zuvor. Es wäre eine wahre Vollendung für die Stadt, wenn die Vollendung des Projekts mit einem großen Versöhnungsfest einherginge.
Das Interview führte David Rau