EU-Exekutiv-Vizepräsident Stéphane Séjourné will die Zukunftsfähigkeit der Automobilwirtschaft stärken, Arbeitsplätze erhalten und den Wohlstand der Region Stuttgart sichern: „Die Probleme der Industrie sind uns bekannt. Ich sage es Ihnen also laut und deutlich: Wir werden einen Sektor, der 13 Millionen Arbeitsplätze und sieben Prozent des europäischen BIP umfasst, nicht im Stich lassen. Ganz im Gegenteil!“ Séjourné versicherte den Konferenzteilnehmern: „Heute ist es die Rolle der europäischen Entscheidungsträger, diesen Unternehmen bei der Bewältigung der Herausforderungen zu helfen. Das ist die Rolle der Europäischen Kommission. Es ist auch die Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Die Europäische Union wird einen Plan zur Rettung ihrer Automobilbranche vorlegen.“
2025 ist ein Schlüsseljahr
Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper, der den „Stuttgarter Automobilgipfel“ initiiert hat, sagte: „Das Jahr 2025 ist ein Schlüsseljahr. Die EU-Kommissionspräsidentin hat für dieses Jahr einen ‚Strategischen Dialog‘ für die Automobilwirtschaft ausgerufen. Und dem für den Industriebereich zuständigen Exekutiv-Vizepräsidenten kommt dabei die Schlüsselrolle zu. Er hat unsere Forderungen sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen. Das ist ungemein wertvoll.“
In der Region Stuttgart arbeiten zirka 220.000 Menschen bei den Automobilherstellern, den Automobilzulieferern und im Kfz-Gewerbe: rund 17 Prozent aller Arbeitsplätze. Aber an der Automobilwirtschaft hängen nicht nur sehr viele Arbeitsplätze. Ihr Erfolg bestimmt auch die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand – unter anderem für die Bereiche Bildung, sozialer Ausgleich, Umwelt- und Klimaschutz.
Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper„Der Besuch des Exekutiv-Vizepräsidenten gibt Anlass zur Hoffnung. Er hat erkannt, dass die Lage der europäischen Automobilwirtschaft sehr ernst ist und die Wettbewerbsbedingungen für die europäische Automobilwirtschaft nicht schlechter sein dürfen als in anderen Teilen der Welt.“
Die Branche stehe vor gewaltigen Herausforderungen. Sie sei von den Regelungen der Europäischen Union besonders stark betroffen. Diese bestimme etwa 80 Prozent der Regelungen, die das Wirtschaftsleben in den EU-Mitgliedsstaaten prägen, so Nopper. „Der Exekutiv-Vizepräsident hat die Forderungen nach mehr Flexibilität bei den Antriebstechnologien, nach einem Vorziehen der Revision des Verbrennerverbots sowie nach einem Aussetzen der Strafzahlungen bei Überschreiten der CO2-Flottengrenzwerte sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen. Ich habe ihn nachdrücklich ermuntert, diesen Forderungen nachzukommen.“
Im Stuttgarter Rathaus diskutierten neben dem Exekutiv-Vizepräsidenten auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments aus Baden-Württemberg sowie Vertreter großer Unternehmen der Automobilwirtschaft, darüber hinaus die Wirtschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg, der Vorsitzende des Verbandes Region Stuttgart sowie Repräsentanten von Wirtschaftsverbänden, der IG Metall und Betriebsräten. Ihre Hauptthemenfelder waren das EU-Verbrennerverbot ab 2035, die neuen CO2-Flottengrenzwerte ab 2025 und mögliche Strafzahlungen, die Förderung der E-Mobilität, die Flexibilisierung der EU-Beihilferegelungen sowie der Bürokratieabbau.
„Clean Industrial Deal“
Am Vormittag hatte Séjourné bei Unternehmensbesuchen gemeinsam mit OB Nopper Eindrücke bei der örtlichen Automobil- und Zulieferindustrie gesammelt. Die Delegation war zu Gast bei der Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG, der Robert Bosch GmbH sowie der Mahle GmbH und der Mercedes Benz Group AG. Beim Spitzengespräch im Rathaus sagte Séjourné: „Die Zukunft des Autos ist das saubere Auto. Und diese Zukunft muss in Europa gestaltet werden. Wir haben bereits mit der Arbeit begonnen, mit dem ,Strategischen Dialog‘, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor einigen Wochen angekündigt hat.“ Nun solle es schnell konkret werden, sagte Séjourné, der im Dezember seine Aufgabe als Exekutiv-Vizepräsident für Wohlstand und Industriestrategie übernommen hat. Einer seiner ersten Wege führte ihn auf Einladung des Oberbürgermeisters nun nach Stuttgart. „Ich werde drei Prioritäten setzen“, kündigte Séjourné an: „Erstens die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie kurzfristig sichern – das ist der ganze Zweck des ,Clean Industrial Deal‘, den ich in 42 Tagen vorstellen werde –, zweitens die europäische Nachfrage nach sauberen Autos ankurbeln und das ,Made in Europe‘ fördern, und drittens den Schutz unserer Industrie vor unfairem externen Wettbewerb.“
Dafür wolle die EU ein breites Spektrum an Maßnahmen prüfen, führte er aus: Dazu gehöre es, in die europäische Wertschöpfungskette zu investieren, kritische Lieferketten in Europa zu sichern, etwa durch die Schaffung von Produktions- und Lagerkapazitäten für seltene Rohstoffe und Metalle in Europa. Es sei wichtig, Anreize für die Nachfrage nach sauberen Fahrzeugen zu schaffen, zum Beispiel durch die Dekarbonisierung von Unternehmensflotten und durch öffentliche Aufträge. Ausgebaut werden müsse auch die Betankungs- und Ladeinfrastruktur.
Zur Frage möglicher Strafzahlungen sagte Séjourné: „Wir brauchen einen pragmatischen Ansatz. Man kann nicht einen Sektor schwächen, den man gleichzeitig zu retten versucht. Aber man darf auch nicht von den Klimazielen abrücken. Wir können uns nicht auf Verbrennermotoren beschränken, während die Weltmärkte nach und nach auf Elektroautos umsteigen.“
Nicht zuletzt bei seinem Eintrag in das Goldene Buch der Landeshauptstadt machte er der Region Mut: „In Stuttgart haben wir die Geschichte der europäischen Industrie des 20. Jahrhunderts geschrieben. In Stuttgart werden wir die Geschichte der europäischen Industrie des 21. Jahrhunderts schreiben.“ Daran glaube er, betonte Séjourné: „Glauben wir an uns.“