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Landeshauptstadt Stuttgart

Hegel-Preis

OB Dr. Nopper überreicht den Hegel-Preis 2024 an Soziologie-Professor Patterson

Der jamaikanisch-amerikanische Soziologe Prof. Dr. Orlando Patterson hat am Donnerstagabend, 12. Dezember, im Stuttgarter Rathaus den Hegel-Preis der Landeshauptstadt erhalten.

Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper (links) hat den Hegel-Preis 2024 dem Soziologie-Professor Orlando Patterson beim Festakt im Großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses überreicht.

Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper überreichte den mit 12.000 Euro dotierten international bedeutenden Preis für Philosophie und Geisteswissenschaften dem Harvard-Professor für herausragende Arbeiten zur Soziologie der Sklaverei und der Freiheit.

Mit Orlando Patterson werde der erste Jamaikaner und der vierte Amerikaner mit dem Hegel-Preis ausgezeichnet, sagte der Oberbürgermeister: „Orlando Patterson ist ein herausragender Soziologe. Er hat zahlreiche bedeutende Werke zur Sklaverei, zur Desintegration, zur Ausgrenzung und zur westlichen Kultur der Freiheit geschrieben“, so Nopper. „Seine Soziologie der Sklaverei ist ein Solitär in der Wissenschaft."

Namensgeber Hegel in Stuttgart „omnipräsent“

Den für den Preis namensgebenden Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel nannte Nopper einen „Stuttgarter Exportschlager wie Porsche und Mercedes“. Dieser sei in Stuttgart nicht nur „omnipräsent“, sondern habe im „schwäbischen Volkscharakter“ tiefe Spuren hinterlassen.

Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper (links) im Gespräch mit Soziologie-Professor Orlando Patterson.

Verschiedene Meinungen zu vertreten sowie das Bestreben, Gegenteiliges miteinander zu verbinden, seien Gewohnheiten, die Hegel in seiner Philosophie aufgenommen habe. In seinem Werk sei es darum gegangen, das Freiheitsbedürfnis der Menschen zu wecken, denn Herrschaft und Unterdrückung gebe es nach Meinung Hegels nur dort, „wo das Bewusstsein für Freiheit noch nicht genügend herausgebildet ist“. Nopper blickte auch auf das lokale politische Geschehen: „Von Hegel können wir Kommunalpolitiker lernen, dass der dialektische Streit, dass der Streit zwischen These und Antithese produktiv sein kann und zu konstruktiven Lösungen, zur – wie Hegel es nannte – Synthese führen kann.“

Als Laudator würdigte Prof. Dr. Christoph Menke vom Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt den Preisträger mit den Worten, dieser habe „im Lauf von sechs Jahrzehnten ein Werk hervorgebracht, dessen Vielfalt, Breite, Tiefe, Gelehrsamkeit, Kühnheit und Wirksamkeit einzigartig ist“. Menke arbeitete die Gemeinsamkeiten, aber auch die Differenzen zwischen Hegel und Patterson heraus. Pattersons Freiheitssoziologie sei konsequenter und radikaler als die Freiheitsphilosophie Hegels, denn Patterson betrachte „die Welt von ihren Rändern her“, stelle das eindimensional „westliche“ Verständnis von Freiheit in Frage. Er thematisiere die „Verschlingung von Sklaverei und Freiheit“, verweise auf die Ursprünge der Freiheit in der Unfreiheit, in der Unterdrückung, in der Gewalt. So trage er zu einem tieferen und komplexeren Verständnis von Freiheit bei. „Wir müssen Hegel und damit die westliche Kultur durch Patterson neu und ganz anders zu deuten lernen“, sagte Menke.

Höhepunkt des Abends war der in Englisch gehaltene Dankesvortrag von Orlando Patterson: eine intellektuelle Sternstunde im Großen Sitzungssaal. „In Hegels Namen geehrt zu werden, hat für mich besondere Bedeutung; denn Hegel war für mich stets zugleich Mentor und Widersacher“, sagte der 84-jährige Preisträger, der vor über 60 Jahren von seinem Lehrer, einem karibischen Intellektuellen, erstmals auf Hegel aufmerksam gemacht wurde.

Beunruhigende Entwicklungen im Herzen der Freiheit

Patterson zeichnete in seinem Vortrag, der die Zeit von der griechischen Antike im Athen des 6. Jahrhunderts v. Chr. bis zu den jüngsten US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen umspannte, Geburt und Geschichte der Freiheit aus dem Geist von Unterdrückung und Sklaverei nach. Der westliche Glaube, dass die Freiheit letztlich triumphieren würde, sei heute, im 21. Jahrhundert erschüttert: „Wir erleben einen Rückschritt dieses historischen Versprechens, einen drohenden Zusammenbruch der Demokratie, den Aufstieg des populistischen Nationalismus und den Verfall der Werte, die einst die freie Welt untermauerten“, führte Patterson aus. „Am beunruhigendsten ist, dass sich diese Entwicklungen im Herzen der Freiheit abspielen, in Frankreich, Großbritannien und Amerika, wo Anführer die Rhetorik der Freiheit missbrauchen, während sie ihre heiligsten Prinzipien untergraben.“

Patterson arbeitete die These aus, dass Freiheit kein angeborenes menschliches Streben sei. Sie sei kein in allen Kulturen verfolgtes Ideal – sie sei ein weitgehend westliches Ideal. Denn sie wurde geboren „in Opposition zu ihrem dunkelsten Antagonisten: der Sklaverei“. Im Anschluss an Hegel entwickelte Patterson drei Freiheitsaspekte: die negative, die positive und die kollektive oder solidarische Freiheit. Hegel habe einen harmonischen Dreiklang dieser drei „Freiheitsakkorde“ vertreten. Doch: „Der Neoliberalismus, eine Ideologie, die die individuelle Autonomie auf Kosten von Gemeinschaft und Gleichheit betont, hat den Freiheitsakkord verzerrt.“ Die Freiheit sei fragmentiert, habe ihre ethische Grundlage eingebüßt. Nunmehr träten „populistische Autoritäre“ auf, die versprächen, die „geliebte Gemeinschaft“ wiederherzustellen. Patterson warnte eindringlich: „Freiheit ist zerbrechlich. Wenn ihr Akkord fragmentiert, droht Tyrannei. Wenn jedoch ihre drei Töne: Befreiung von Herrschaft, Macht zur Selbstverwirklichung und Solidarität der Gemeinschaft in Harmonie erklingen, kann der Geist der Freiheit, der Geist des Westens, neu aufblühen.“

Der Hegelpreisträger 2024 bekam für seinen Vortrag langanhaltenden Beifall aus einem vollbesetzen Großen Sitzungsaal. Den Abend moderierte die Leiterin der Stuttgarter Museumsfamilie und des Hegel-Hauses Elena Kaifel.

Der Jury gehörten neben Mitgliedern des Stuttgarter Gemeinderates vier Fachleute an: Dr. Amrei Bahr, Junior-Professorin für Philosophie an der Universität Stuttgart, Prof. Dr. Dina Emundts, Präsidentin der Internationalen Hegel-Vereinigung und Professorin für Geschichte der Philosophie an der Freien Universität Berlin, und Prof. Dr. Christoph Menke, Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt, sowie Jürgen Kaube, Mit-Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und dort zuständig für das Feuilleton.

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