Deshalb hat die Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, Isabel Fezer, einen stadtweiten Kitaprozess angestoßen, der Maßnahmen entwickeln und steuern soll, um mit den vorhandenen Kapazitäten mehr Betreuungsplätze anbieten zu können. In den Prozess zur Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung eingebunden sind neben der Verwaltung und Politik auch die Stuttgarter Kita-Träger sowie weitere relevante Akteure der Kitalandschaft wie der Gesamtelternbeirat und Arbeitgeber.
Seit 2012 ist es gelungen, sehr viele zusätzliche Plätze in der Kindertagesbetreuung in Stuttgart zu schaffen: Die Zahl der Plätze für Kinder unter sechs Jahren stieg um fast 6.500, was einem Zuwachs von etwa 30 Prozent entspricht. Die Plätze für Kleinkinder unter drei Jahren haben sich sogar um 75 Prozent erhöht. Allerdings können wegen des Fachkräftemangels die vorhandenen Plätze teilweise nicht belegt werden: Trotz der hohen Zunahme von über 2.000 Erzieherinnen und Erziehern (Zuwachs von über 50 Prozent) ist es nicht möglich, alle statistisch vorhandenen Plätze anzubieten und zu belegen. Aktuell können rund 3.000 Kinder unter sechs Jahren keinen Betreuungsplatz erhalten.
Die Lage bleibt aufgrund des Fachkräftemangels insgesamt weiter angespannt. Die Brisanz des Fachkräftemangels in der Kindertagesbetreuung und die Folgen für die Bedarfsdeckung hat die Bertelsmann-Stiftung mit einer aktuellen Studie untersuchen lassen. Demnach werden bis 2025 landesweit rund 14.800 Fachkräfte fehlen, um den Bedarf der Eltern zu decken.
Zahlreiche Maßnahmen gegen Personalmangel
Die Verwaltung der Landeshauptstadt setzt zahlreiche Maßnahmen zur Personal-gewinnung ein, wie beispielsweise die Ausweitung der Ausbildungsangebote, die Aufnahme von Quereinsteigerinnen und -einsteigern, die Entlastung der Fachkräfte von Verwaltungsaufgaben, die Anwerbung von Fachkräften im Ausland sowie finanzielle Anreize. Allerdings genügen diese Maßnahmen alleine nicht, um ausreichend Plätze zur Verfügung zu stellen.
Isabel Fezer, Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, hat deshalb einen stadtweiten Kitaprozess zur Steuerung und Weiterentwicklung von konkreten Maßnahmen angestoßen. Die Bildungsbürgermeisterin sagt: „Der hohe nicht gedeckte Fachkräftebedarf betrifft die gesamte Stadtgesellschaft. Im Steuerungsprozess werden daher neben der Verwaltung und Politik auch die Stuttgarter Kita-Träger sowie weitere relevante Akteure der Kitalandschaft wie der Gesamtelternbeirat und Arbeitgeber an verschiedenen Stellen im Verlauf des Prozesses mit einbezogen.“ In Arbeitsgruppen werden mögliche und notwendige Anpassungen der Betreuungszeiten, Vereinbarungen zu einheitlicheren Platzvergabekriterien, die Bereitstellung von alternativen (Betreuungs-) angeboten sowie die Anwendung des so genannten Erprobungsparagrafen diskutiert. Dieser bietet Trägern von Kindertageseinrichtungen seit dieser Woche die Möglichkeit, bisherige Regelungen anzupassen, um neue Modelle zeitlich befristet zu erproben.
Sinnvolle Umschichtung von Ganztagesangeboten
Stadt und Träger sind der Auffassung, dass auch in Stuttgart eine anteilige Umschichtung von Ganztagsangeboten (40 Wochenstunden und mehr) hin zu Angeboten mit kürzeren Betreuungszeiten von wöchentlich 30 bis 35 Stunden sinnvoll ist. Der bestehende hohe Prozentsatz an Ganztagesplätzen, sowohl im Bereich der Kleinkindplätze als auch der Plätze für Drei- bis Sechsjährige, soll bedarfsorientiert gesenkt werden. Alle sollen an Betreuungszeit das bekommen, was sie brauchen. Die Umsteuerung zielt darauf ab, die wegen Personalmangels reduzierten oder geschlossenen Gruppen wieder in Betrieb zu nehmen und die Verlässlichkeit der bestehenden Betreuungsangebote zu stärken. Wo und in welchem Umfang die Anpassung der Betreuungszeit vorgenommen werden kann, wird derzeit mit den Trägern ausgelotet.
Dazu hat Fezer eine klare Haltung: „Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein wichtiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Pfeiler. Priorität hat das Kindeswohl. Mein Ziel ist es, dass in den kommenden Jahren alle Stuttgarter Kinder einen Betreuungsplatz erhalten können. Wir können es nicht hinnehmen, dass ein Teil der Kinder vor ihrer Einschulung keine Betreuung und Förderung im Kindergarten erhält. Bildungsgerechtigkeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehören eng zusammen.“
Auch die Leiterin des Jugendamts, Dr. Susanne Heynen, plädiert nach vielen Jahren des Kita-Ausbaus für ein Umdenken: „Wir müssen die Grenzen des Wachstums in der Kitalandschaft anerkennen. Das heißt auch zu akzeptieren, dass wir nicht flächendeckend 40 und mehr Wochenstunden an Kindertagesbetreuung anbieten können. Um allen Kindern und allen Eltern ein Betreuungsangebot machen zu können, müssen wir den Anteil an kürzeren Betreuungszeiten von 30 bis 35 Stunden in der Woche erhöhen.“
Vorschläge der Studie der Bertelsmann-Stiftung
In den Reports der Bertelsmann-Stiftung werden verschiedene Vorschläge gemacht, um die „Kita-Krise“ kurzfristig (bis 2025) beziehungsweise mittelfristig (bis 2030) abzumildern.
Dazu gehören einerseits Maßnahmen wie Personalmanagement und -gewinnung. So wird im Fachkräfte-Radar eine „Fachkräfte-Offensive“ gefordert, also ein vielfältiges Maßnahmenpaket zur Gewinnung, Qualifizierung und Bindung von Fachkräften. Zur Realität gehört jedoch andererseits auch, dass die umfangreichen Maßnahmen der Personalgewinnung den Fachkräftemangel allein nicht lösen können. Deshalb schlagen die Expertinnen und Experten zur kurzfristigen Deckung der Platzbedarfe bis 2025 eine Verkürzung der Öffnungszeiten auf sechs Stunden täglich vor. Dies resultiert aus der Prognose des Fachkräfte-Radars mit unterschiedlichen Szenarien, nach der sowohl die Beibehaltung der aktuellen Betreuungszeiten als auch die Reduzierung des Angebots auf sieben Stunden täglich kurzfristig nicht zu einer landesweiten Deckung des Platzbedarfs führen, weil dafür jeweils zu viele Fachkräfte fehlen.