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Landeshauptstadt Stuttgart

Soziales

Housing First – zuerst die Wohnung

Wohnungslosen Menschen zuerst und ohne Vorbedingungen eine eigene Wohnung geben, das ist die Idee, die hinter „Housing First“ steckt. In Stuttgart gibt es das Modell seit 2022. Es ist auf vier Jahre angelegt und zeigt erste Erfolge.

Das Modellprojekt „Housing First" in Stuttgart feiert Halbzeit und hat 40 wohnungslosen Menschen zu einem Zuhause verholfen.

„Die Wohnung war die Rettung in der Not.“ Das sagt Alexandra L., die im Mai 2023 über Housing First eine Zweizimmerwohnung in Zuffenhausen beziehen konnte. Die 42-Jährige hat eine Drogenkarriere hinter sich, verlor ihre Stelle als Altenpflegerin und ihre Wohnung und fand sich zeitweise sogar auf der Straße wieder. Seit ein paar Jahren ist sie von den Drogen runter und nimmt Substitutionsmittel. Heute bezieht sie Bürgergeld und wartet auf eine Umschulung als Arbeitserzieherin.

Das einzige, was Alexandra L. auf ihrem Weg in die Normalität gefehlt hat, war eine Wohnung. Denn davon ist es abhängig, ob die Mutter eines 13-jährigen Sohnes, diesen wieder zu sich nehmen darf. Auf dem privaten Wohnungsmarkt hatte Alexandra L. mit ihrer Vita keine Chance. Im bisherigen System der Wohnungsnotfallhilfe war sie erst im betreuten Wohnen angekommen. Dank des Programms Housing First lebt Alexandra L. heute in ihren eigenen vier Wänden.

Paradigmenwechsel

Im Glück: Alexandra L. hat endlich wieder eine eigene Wohnung.

Alexandra L. ist eine von 40 Personen, die seit dem Start des Modellprojekts in Stuttgart 2022 eine Wohnung ihr eigen nennen und jetzt ihr Leben wieder in den Griff bekommen können.

Zuerst die Wohnung, dann die Hilfe – das ist die Idee von Housing First. „Das ist ein Paradigmenwechsel“, sagt die Bürgermeisterin für Soziales, Gesundheit und gesellschaftliche Integration, Alexandra Sußmann. Denn damit kehrt Housing First das bisherige System der Wohnungsnotfallhilfe in Stuttgart um. Im bisherigen System steht eine eigene Wohnung nämlich erst am Ende der Hilfskette. Davor muss die verbindliche Beratung und die Unterbringung in einer ambulanten oder stationären Unterkunft durchlaufen werden. Dadurch bleiben Menschen auch schon mal länger im Hilfesystem als überhaupt nötig. Bei Housing First startet das Hilfsprogramm mit dem Einzug in eine eigene Wohnung mit unbefristetem Mietvertrag. Die Gründe für den Wohnungsverlust oder die Lebenssituation insgesamt werden erst danach geklärt und bearbeitet. Und auch das nur auf freiwilliger Basis und ohne Zwang.

In Stuttgart leben schätzungsweise bis zu 150 Obdachlose auf der Straße. Stand 2023 waren es zusätzlich rund 3700 Menschen, die in sogenannten Sozialhotels oder in ambulanten oder stationären Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht waren. Das Projekt Housing First richtet sich gleichermaßen an obdachlose und wohnungslose Menschen.

Idee kommt aus den USA

Die Idee zu Housing First kommt dabei ursprünglich aus den USA. Hier wurde das Modell Anfang der 1990er-Jahre entwickelt. Der Ansatz basiert darauf, dass eine Wohnung die wichtigste Voraussetzung für eine neue Stabilität im Leben der Betroffenen ist und damit die Voraussetzung für ein Angehen der Probleme.

Das mittlerweile sechsköpfige Projektteam von Housing First Stuttgart zieht eine positive Bilanz zur Halbzeit: Von 50 geplanten Wohnungen konnten bisher 25 vermittelt werden und damit fanden 40 Menschen ein neues Zuhause, darunter fünf Familien mit insgesamt acht Kindern.

Positive Zwischenbilanz

Bis auf einen Projektteilnehmer, der seine Wohnung ordentlich gekündigt hat, leben bislang alle Haushalte in den ihnen vermittelten Wohnungen. Die zum Projekt gehörende Sozialarbeit ist freiwillig, wird aber „rege in Anspruch genommen“, fasst Raphael Graf von Deym, Vorstand des Caritasverbands für Stuttgart, die Erfahrungen zusammen.

Und Katharina Rudel von Housing First ergänzt: „Die Menschen können sich auf das Angebot von Housing First Stuttgart einlassen, weil sie niemand dazu zwingt. Sie entscheiden selbst über die Themen und die Intensität der Beratung“. Die Mitarbeitenden unterstützen beispielsweise dabei, einen Kitaplatz zu finden, sie vermitteln Beratung bei Schulden, helfen bei der Anmeldung in einer Entzugsklinik oder bei der Jobsuche.

Der Hauptanteil der Sozialarbeit wird aber für die Kommunikation mit Behörden wie zum Beispiel dem Jobcenter in Anspruch genommen. Das ist im übrigen auch für die Zahlung der monatlichen Miete zuständig.

„Gerade Menschen, die viele Jahre keine eigene Wohnung mehr hatten, freuen sich darüber, wenn das neue Dach über dem Kopf durch gemeinsame Renovierungsarbeiten und den Kauf von Möbeln nach und nach zu einem echten Zuhause wird“, berichtet Katharina Rudel. Da die finanziellen Mittel dafür meist knapp sind, kann Housing First durch Spendenmittel zusätzlich dabei auch noch einmal unterstützen. Das Stuttgarter Modellprojekt wird von einem Trägerverbund umgesetzt, zu dem federführend der Caritasverband für Stuttgart gehört, weiterhin die Ambulante Hilfe e.V., die Evangelische Gesellschaft Stuttgart und die Sozialberatung Stuttgart.

Trägerverbund für Stuttgart

Gefördert wird das Modell von der Landeshauptstadt Stuttgart mit 1,8 Millionen Euro. Bis zu acht Personalstellen wurden im Doppelhaushalt 2022/23 bewilligt. Die Vector Stiftung, die sich unter anderem in der Region Stuttgart für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit einsetzt, fördert das Modellprojekt mit 150 000 Euro. „Wir hoffen, dass sich die kommunale Wohnungsnotfallhilfe insgesamt stärker in Richtung Housing First verändert und die guten Ansätze aus ‚Housing First Stuttgart‘ verstetigt werden“, sagt Vorständin Edith Wolf aus Anlass der Zwischenbilanz.

Die meisten Wohnungen hat bis jetzt die Wohnungsgesellschaft Vonovia gestellt. Man wolle gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sagt Regionalleiterin Silke Blankenhaus und fügt hinzu: „Unsere Erfahrungen mit den Menschen sind ausnahmslos gut.“ Dreizehn der vermittelten Wohnungen stammen von Vonovia, fünf Wohnungen von privaten Vermietern, vier Wohnungen vom Bau- und Wohnungsverein Stuttgart (BWV), zwei Wohnungen von der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) und eine Wohnung von der Ambulanten Hilfe e.V.

Eine der Erfahrungen zur Halbzeit des Projekts ist aber auch: private Vermieter tun sich schwer, Wohnungen für das Projekt zur Verfügung zu stellen. Mit dem positiven Halbzeitergebnis erhofft sich der Trägerverbund deshalb auch ein ebensolches Signal in diesen Bereich des Stuttgarter Wohnungsmarkts. Und auch das darf dabei immer wieder gesagt werden: die Miete ist sicher – die kommt ja sozusagen aus dem Rathaus, vom Jobcenter der Stadt Stuttgart.

Wohnung gesucht

  • Gesucht werden für Housing First vor allem Ein- bis Zweizimmerwohnungen für Alleinstehende, aber auch Wohnungen für Paare und für Familien im Rahmen der vorgegebenen Mietobergrenzen der Stadt Stuttgart.
  • Wer überlegt, seine Wohnung für Housing First zu vermieten, kann sich unter der Telefonnummer  0711/1209-2717 beim Projektteam informieren.
  • Die finanzielle Situation der Mieter ist geklärt und die Vermieter haben stets eine Ansprechperson im Team von Housing First Stuttgart. Da gute Nachbarschaft bekanntermaßen wichtig ist, wird vorab sorgfältig geprüft, dass die Mieter gut ins Wohnumfeld passen.

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Bildnachweise

  • bodnarchuk/Getty Images
  • Bernd Eidenmüller