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Landeshauptstadt Stuttgart

Klärwerk

Alles im Fluss

Spurensuche im Hauptklärwerk Mühlhausen

190 000 Kubikmeter Wasser, so viel wie eine bis zur Tribüne geflutete Mercedes-Benz-Arena, werden täglich in Mühlhausen gereinigt. Dank eines neuen Verfahrens kann die größte Anlage Baden-Württembergs nun noch mehr Mikroschadstoffe und Hormone herausfiltern.

Die Stadtentwässerung Stuttgart betreibt vier Klärwerke für Stuttgart. Das größte ist das Hauptklärwerk Mühlhausen.

Schaumkronen strudeln auf der Oberfläche, sammeln sich in den Betonecken des Klärbeckens, werden weitergeschwemmt. Ein modriger Geruch hängt über dem schlammbraunen Wasserballett, vom nächsten Becken wehen dagegen Parfümreste rüber – seifige Hinterlassenschaften von Duschbädern. Tropfen für Tropfen wird das Abwasser der Stadt durch das Hauptklärwerk Mühlhausen gespült, durch Klappen geschubst, von riesigen Propellern verwirbelt, Bakterien zum Fraß vorgeworfen, versickert durch Sand. Ziemlich genau 24 Stunden rauscht jeder Schluck durch die Kurven, bis das einst entsorgte Nass wieder erfrischt in den Neckar sprudelt. Gereinigt zu gut 98 Prozent.

Abteilungsleiter Boris Diehm schöpft Wasser in den Kontrolltrichter

„Warten Sie mal, ich zeig’ Ihnen das“, sagt Boris Diehm, Abteilungsleiter für Klärwerke und Kanalbetrieb beim Tiefbauamt der Stadt, und trabt die Wendeltreppe nach unten. An deren Ende ist das saubere Wasser nur noch eine Schleuse von seiner Entlassung in den Neckar entfernt. Mit dem Imhoff-Trichter schöpft Diehm aus dem vollen, nassen Keller des Klärwerks, der Inhalt ist glaskar wie das Behältnis. Offensichtlich: der Schmutz ist weg. Nachweislich: die Rückstände von Schmerzmitteln, Cremes, Spülmaschinentabs, Anti-Mücken-Spray, Pestiziden, Kontrastmitteln, Betablockern, Hormontabletten sind zu großen Teilen herausgefiltert.

Geringste Konzentrationen dieser Spurenstoffe bleiben allerdings zurück, was schlecht für das Ökosystem Fluss ist. Ein neues Verfahren, basierend auf Aktivkohle, kann seit Kurzem noch mehr von Haushaltschemikalien und Co rausfiltern. Der Trick: Ein Gramm Aktivkohle besitzt größenmäßig die gleiche Oberfläche wie ein Fußballfeld. In den feinsten Poren und Unebenheiten bleibt der Mikroschmutz hängen, der Tropfen sickert sauberer weiter. PAK, Pulveraktivkohle – die blauen Silos, bis zum Rand gefüllt mit feinstem luftigen Kohlestaub, sind weithin sichtbar. Sie sind Teil der zusätzlichen vierten Reinigungsstufe, die noch bis 2028 erweitert wird.

Vier Reinigungsstufen säubern das Abwasser

An zwei Stellen kommt das schwarze Wunderpulver in Einsatz. Doch von vorne: Am Anfang muss das Abwasser am Rechen vorbei. Er ist der Türsteher, in dem sich grober Schmutz wie Feuchttücher oder größere Rückstände verheddern. Alles Flüssige wird daraufhin von Sand (setzt sich ab) und Fett (schwimmt oben) getrennt, bevor es ins  trichterförmige Vorklärbecken gelangt. Dort sinkt die feste Masse als Klärschlamm auf den Beckengrund, wird von Räumschilden unter Wasser zur Trichtermitte geschoben und abgepumpt.

Die zweite Reinigungsstufe ist biologisch-chemisch aufgebaut: Bakterien und Kleinstlebewesen verstoffwechseln die Inhaltsstoffe des Abwassers in riesigen belüfteten Belebungsbecken. Darunter auch Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphorverbindungen aus Fäkalien, Essensresten und Reinigungsmitteln. Hier kommen nun die Aktivkohlesilos als zusätzlicher Fußabstreifer zum Einsatz, bevor die braunflüssige Masse weiter ins Nachklärbecken rutscht.

Von dort gelangt das Wasser zur finalen Reinigungsstufe, der Sandfilteranlage. Das sind 48 Sandkästen, jeder 1,40 Meter tief, durch die das Wasser langsam sickert. Hier wird ebenfalls Aktivkohle in Form eines zusätzlichen Reinigungsbeckens eingesetzt, bevor das Wasser in den Neckar sprudelt.

„Die Toilette ist kein Mülleimer“

Das Hauptklärwerk Mühlhausen deckt einen Großteil der Stuttgarter Stadtentwässeung ab.

Das alles braucht Platz. Das Hauptklärwerk Mühlhausen liegt auf einem 1,4 Kilometer langen Areal zwischen Neckar und Stadtbahngleisen, so groß, dass die 120 Mitarbeiter mit Fahrrädern zwischen den Becken und Türmen unterwegs sind. Unter ihnen: Anlagentechniker, Ingenieure,
Handwerker, Elektrotechniker, die zum großen Teil selbst dort aus- und fortgebildet werden.

„Man denkt gar nicht, dass sich hier ein riesiges Unternehmen befindet“, sagt Jürgen Mutz, der als Leiter des Tiefbauamtes auch Chef des Eigenbetriebs Stadtentwässerung Stuttgart (SES) ist. Ein Unternehmen mit großen Aufgaben: In den kommenden zehn Jahren soll eine Milliarde Euro in Instandhaltung und Ausbau des Hauptklärwerks fließen. Die Anforderungen steigen. „Wir spülen immer mehr chemische Produkte ins Abwasser“, sagt Boris Diehm. „Und wir können das genauer messen als früher.“ Jedes Medikament wird vom Körper ausgeschieden, Essensreste bleiben am Rechen hängen. Umso wichtiger ist es, verantwortungsvoll mit den Stoffen umzugehen. Zumal die Klärwerke bei Starkregen umflossen werden: Im Fall heftiger Niederschläge füllen sich die rund 150 Regenrückhaltebecken der Stadt binnen weniger Minuten. Nur der grobe Schmutz kann beseitigt werden, der Rest fließt stark verdünnt direkt in den Neckar.

„Die Toilette ist kein Mülleimer“, sagt Jürgen Mutz. Was im Abfluss landet, ist allenfalls aus den Augen, aus dem Sinn – aber nicht aus der Welt.

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Bildnachweise

  • Preiß/Stadt Stuttgart
  • Preiß/Stadt Stuttgart
  • Grafik: SES
  • GettyImages/fongfong2
  • Zwei Mitarbeiter der Stadtentwässerung inszipieren die Kanalisation | www.michaelfuchs-fotografie.de / SES
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