Vor 100 Jahren wurde die „Städtische Gemäldesammlung“ erstmals in der Villa Berg öffentlich gezeigt. Als „Galerie der Stadt Stuttgart“ war die Sammlung viele Jahre im Kunstgebäude zu sehen, bevor sie schließlich 2005 in den eigens für sie errichteten Neubau am Schlossplatz zog. Im Jahr des Doppeljubiläums zeigt das Kunstmuseum nun die Ausstellung „Doppelkäseplatte“.
Titel‐ und impulsgebend für die Ausstellung ist das monumentale Lebensmittelbild „Doppelkäseplatte“ von Dieter Roth (1930–1998) aus der Sammlung. Bei dem Werk, entstanden um 1968, hat der Schweizer Künstler verschiedene Käsesorten zwischen zwei Glasscheiben gelegt und sie dem organischen Zerfall überlassen. Roths Verwendung vergänglicher Materialien führte dazu, dass sich das Werk über die Zeit stetig weiter veränderte. Es wucherte und reifte nach: Vergehen und Werden, Vergangenheit und Zukunft werden eins. Durch die Schimmel‐ und Zersetzungsprozesse bildeten sich abstrakte Strukturen, die einen Raum für Assoziationen und Zuschreibungen eröffnen: einen Gewitterhimmel, eine Gebirgslandschaft oder schlicht eine Frechheit! Sowohl Produktion als auch Rezeption unterliegen einer unberechenbaren Eigendynamik, darauf macht die Arbeit aufmerksam.
Insgesamt kann das künstlerische Schaffen von Dieter Roth als ein gutes Beispiel dafür gelesen werden, wie sich der Kunstbegriff, also das, was Kunst ist und auszeichnet, mit der Zeit ändert und immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Stand die Kunstwelt anfangs dem OEuvre Roths weitgehend kritisch bis ablehnend gegenüber, zählt es heute zum Kanon der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Wie sieht die städtische Sammlung nach 100 Jahren aus?
Bei allem Humor, der in der Arbeit steckt, nimmt das Kunstmuseum Stuttgart den künstlerischen Ansatz der „Doppelkäseplatte“ ernst. Die Ausstellung setzt genau hier an und fragt: Wie sieht die städtische Sammlung nach 100 Jahren aus? Wie verändert sich ihre Wahrnehmung und Geltung über die Zeit? Wie wird aus einer Ansammlung einzelner Werke eine Sammlung?
Mittlerweile umfaßt der Bestand des Kunstmuseums Stuttgart 1600 Kunstwerke. In der Ausstellung werden Sammlungskomplexe, die lange nicht oder noch nie zu sehen waren, mit Schenkungen und Ankäufen der vergangenen Jahre in einen Dialog gebracht. Eine besondere Rolle kommt dabei Werken von Künstlerinnen zu, die in der historisch gewachsenen Sammlung oftmals unterrepräsentiert sind und deren Anteil zuletzt deutlich erhöht werden konnte. Die Werkauswahl vereint Exponate aus allen Gattungen. Neben den großen Namen sind ebenfalls weniger bekannte und junge Künstler in der Ausstellung vertreten.
Kerngebiet der Sammlung: die Malerei
Die Schau ist gegliedert in sieben Themenräume, die die individuellen Handschriften der Kuratorinnen und Kuratoren des Kunstmuseums Stuttgart tragen. Dabei werden historische Zusammenhänge der Sammlung aufgezeigt. Ebenso wird der Bezug der Werke zu aktuellen Fragestellungen hergestellt. Die Ausstellung thematisiert damit die gesellschaftliche Relevanz der Institution Museum selbst.
Der Malerei, einem der Kerngebiete der Sammlung, ist eine ganze Ausstellungsebene des „Kubus“ vorbehalten, auf der ein Panorama von der Klassischen Moderne bis heute entfaltet wird. Mit dabei: Ida Kerkovius, Markus Ohelen Anton Stankowski und andere. Otto Dix, Kara Walker und Yael Bartana bannen die „bösen Geister“ der Geschichte, wie Krieg, Rassismus, Sexismus und Gewalt. Die subversivpolitische Seite von Kunst wird mit Arbeiten von Albrecht/d., Dietrich Fricker und Anne Marie Jehle ausgeleuchtet. Mit Werken von unter anderem Josephine Meckseper, Gerda Brodbeck und K.R.H. Sonderborg wird der vom Konsum geprägte Gesellschaftsentwurf nach 1945 und die Kritik daran in Bilder gefasst.
Die Jubiläumsausstellung wird begleitet von Konzerten, Performances und weiteren Veranstaltungen. Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie auf der Website des Kunstmuseum Stuttgart (Öffnet in einem neuen Tab).